Vom Wandel

Auf dem Weg ins Leben hast du viel gelernt, du empfindsames Wesen. 

Ein ausgefeiltes Schutzsystem umgibt dich wie ein Schneckenhaus, jederzeit ist Rückzug möglich. Und das ist gut so. Dieser Schutzraum war Jahrzehntelang lebensnotwendig, du hättest es sonst nicht bis hierher geschafft. Du wärest zerschellt an den Dingen, die dir angetan wurden. Wärst verblutet vor Verletzung und hättest es wohl freiwillig und viel zu früh losgelassen, das Leben.

Doch jetzt meldet sich zaghaft Neugier aufs Lebens – wie ist es wohl jenseits deines Schneckenhauses? Da blitzt durch dein Tarnmantel der angepassten Frau, plötzlich ein Schimmer Abenteuerlust auf. Wie ein Lichtstrahl suchen sich all die versteckten Anteil in dir allmählich Wege, um endlich Luft zu kriegen. 

Ja, sie ringen nach Luft, all die Anteile, die nie gelebt worden sind aus Angst vor dem prallen Leben. 

Denn was ist, wenn du in Wirklichkeit viel mehr bist, als das, was du lebst? 

Wenn du dich mit dem kleinen Reich deines Alltags nicht mehr zufrieden gibst? 

Wenn du nicht mehr die Gewissenhafte, Pflichtbewusste, Stillschweigende, Harmonische, Hilfsbereite, Passende oder Vermeidende bist? 

Ja, dann brechen Systeme auf. Dein eigenes und das der anderen. Dann wird an Vorstellungen und Bildern gerüttelt, dann wanken Beziehungen oder werden gesprengt. Dann werden Jobs gekündigt und Länder jenseits der Komfortzone bereist. Dann stehen Entscheidungen an allen Weggabelungen des Lebens an. Dann bist du für die anderen nicht mehr du selbst. Doch in Wahrheit, beginnst du endlich die zu werden, die du schon viel zu lange vermisst hast. 

Und ja, in dieser Wandlungsphase stehst du nackt da und neben all dem aufregenden Aufbruch in dir, zitterst und bebst du vor Angst. Das Alte stimmt nicht mehr, jedoch ist das Neue noch nicht ganz da. 

Doch darf ich dich daran erinnern, dass du dir über all deine Lebensjahre etwas Kostbares gebaut hast? 

Dein Schneckenhaus. 

Auch wenn dir erbärmlich nackt und schutzlos zumute ist, jetzt, wo du bereit bist, deinen ganz eigenen Weg anzutreten, dein Schneckenhaus ist immer da und bietet dir Zuflucht. 

Wenn alles zu viel wird, drossle dein Tempo, ziehe dich zurück und atme.

Atme und verschnaufe so lange es notwendig ist.

Und dann, in deinem ganz eigenen Rhythmus, strecke deine Fühler wieder nach dem Licht aus.

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